Im Biotop der Verwöhnten
CDU, Nerzmäntel und panzerhafte Riesenautos - das ist Bad Homburg. Jetzt wird erstmals ein Grüner Oberbürgermeister


Von Peter Lückemeier


Bad Homburg. Manchmal behalten soziale Systeme ihre Eigenschaften, obwohl das Personal längst ausgetauscht wurde. Die Stadt Bad Homburg ist ein solches politisches Biotop: Oberbürgermeister, Dezernenten und Fraktionsvorsitzende kommen und gehen, das politische Chaos aber bleibt. Nun hat die Bevölkerung am vergangenen Sonntag bei einer Wahlbeteiligung von immerhin 45,8 Prozent einen grünen Oberbürgermeister gewählt. Wird damit Ruhe einkehren in der schönen, reichen Stadt vor den Toren Frankfurts? Unwahrscheinlich.

Was für ein Ort ist Bad Homburg? Die Stadt am Taunus mit dem Zusatz "vor der Höhe" hat 52 000 Einwohner und ist somit neben Marburg, Fulda, Gießen, Hanau, Wetzlar und Rüsselsheim eine "Sonderstatusstadt". Das bedeutet unter anderem: Sie zahlt nur die halbe Kreisumlage. Und an ihrer Spitze steht kein Bürgermeister, sondern ein Oberbürgermeister. Im konkreten Fall war es eine Oberbürgermeisterin, Ursula Jungherr - wie alle Personen, die dieses Amt seit 61 Jahren innehatten, gehört auch sie der CDU an. In Bad Homburg wohnen in absoluten Zahlen noch mehr Reiche als in Bad Soden, Königstein oder Kronberg. Zwar bietet die solide örtliche Wirtschaft mit Großfirmen wie Fresenius, Eli Lilly oder der Deutschen Anlagen Leasing mehr als 25 000 Arbeitsplätze, die Zahl der Einpendler ist höher als die der Auspendler, aber es sind vor allem Chefs aus Frankfurt, die in den Villen der Stadt leben: Klaus-Peter Müller (Commerzbank), Helmut Maucher (Nestlé), Dietmar Schmid (BHF-Bank), Hans-Joachim Tonnellier (Frankfurter Volksbank), Bernhard Walter (ehemals Dresdner Bank), Kajo Neukirchen, Johanna Quandt; auch Alfred Herrhausen war bis zu seiner Ermordung ein Wahlhomburger.

Die Hohenzollern hatten den Ort lange zuvor für sich entdeckt: Wilhelm II. machte das Landgräfliche Schloss mit seinem markanten Weißen Turm zu seiner Sommerresidenz. Noch heute kann man die kaiserlichen Appartements besichtigen, den Sattel, auf dem der leicht bizarre erste Mann des Staates vor seinem Schreibtisch saß, den seinerzeit rasend modernen Telefonschrank, in den sich die Kaiserin für intimere Besprechungen verkriechen konnte.

Das Residenzstädtische hat sich in gewisser Weise bis heute erhalten, schon der Slogan der Stadt ("Champagnerluft und Tradition") gibt sich nicht unprätentiös. Wobei die Champagnerluft zunächst nur dem "prickelnden" Reizklima galt, sich aber bald ins Luxuriöse verselbständigte. In der Tat ist auf der Louisenstraße zur kälteren Jahreszeit stets mit einer verschärften Nerzmantelquote zu rechnen, die Villen in Bad Homburg sind gern etwas größer, und die exorbitanten Immobilienpreise erkennt man auch daran, dass vor Reihenhäusern ein Jaguar parkt.

Besonders weit verbreitet in der Stadt sind die SUVs, die "Sport Utility Vehicles" - panzerhafte Riesenautos, die eigentlich für Wüstenfahrten und Großwildjägerei konstruiert scheinen, aber vor allem von den Frauen der in Frankfurt und global arbeitenden Chefs zum Abholen der Kinder aus Gymnasium, Ballett- oder Tennisunterricht genutzt werden. Oder zum gnadenlosen Einparken in den Frankfurter Parkhäusern, wo die Offroader gerne mal jenseits der Markierungen gleich den nächsten Parkplatz mit blockieren.

Die "Tradition" im Stadt-Slogan aber verweist nicht nur auf Wilhelm Zwo und den Prinzen von Homburg, den Kleist verewigte, sondern auch auf die reichen Russen, die hier kurten, auf Dostojewskij, der sich in Homburg (und Wiesbaden) die Lebensvorlagen für seinen "Spieler" holte, auf Hölderlin. Noch heute bietet die Stadt ihren vielen kultivierten Bürgern - anders als die meisten Orte im Speckgürtel rings um Frankfurt - ein eigenständiges, ambitioniertes Kulturangebot: mit der Skulpturenausstellung "Blickachsen", mit dem Orgelfestival "Fugato", mit dem Hölderlin-Preis oder dem von der Quandt-Stiftung gesponserten Museum Sinclair-Haus.

Dafür verantwortlich war vor allem Bad Homburgs letzter erfolgreicher Oberbürgermeister Wolfgang Assmann, ein stets freundlicher, soignierter Herr, der es verstand, die bürgerlichen Schichten in der richtigen Tonlage anzusprechen, ohne die Facharbeiter mit Bildungs-Tremolo zu verprellen. Als er 1980 aus dem Bundesfinanzministerium nach Bad Homburg wechselte (damals wurden die Oberbürgermeister noch nicht direkt gewählt), stellte er sich beim damaligen Ministerpräsidenten Holger Börner vor, der ihn gleich mit der Feststellung ernüchterte: "Ich verstehe Sie nicht, Sie hatten so einen anständigen Beruf, und jetzt gehen Sie in so ein Giftnest."

Die neurotoxischen Signale kamen und kommen aber in Bad Homburg weniger von oppositionellen Parteien oder Bürgervereinigungen, sondern mit sonderbarer Beharrlichkeit aus der CDU selbst, wo der politische Komparativ lautet: Gegner, Feind, Todfeind, Parteifreund. Noch nie in mindestens dreißig Jahren bekam ein Bewerber um ein Amt im hauptamtlichen Magistrat alle Stimmen seiner eigenen Fraktion. Assmanns Vorgänger kämpfte heftig mit seinem Fraktionsvorsitzenden, Assmann selbst hatte in seinem CDU-Vorsitzenden einen begnadeten Intriganten, Assmanns blasse Nachfolger mussten sich mehr gegen innerparteiliche Heckenschützen wappnen als gegen die Opposition. Dreimal stellte die CDU einen Bürgermeisterkandidaten auf, den seine eigene Fraktion in geheimer Wahl scheitern ließ, darunter honorige Leute, die eine solche Beschädigung nicht verdienten. Die Vernünftigen in der CDU hofften nach jeder Kommunalwahl auf eine Erneuerung, aber augenscheinlich waren es wiederum auch gerade die jungen, frisch gewählten Stadtverordneten, die sich als Abweichler und heimliche Querulanten erwiesen.

Womit wir bei einer schwierigen Frage wären: Warum gewinnt ausgerechnet in einer Stadt wie Bad Homburg, in der die CDU früher auch einen Kalbskopf mit Parteizugehörigkeit als Kandidaten mit sicheren Aussichten hätte plakatieren können, ein Grüner die Wahl? Da fallen einem gleich viele Antworten ein. Weil die amtierende Oberbürgermeisterin Ursula Jungherr (CDU) bei einiger Tüchtigkeit alle Eigenschaften aufwies, die sie für eine Direktwahl ungeeignet erscheinen lassen - menschliche Ungeschicktheit, Kontaktarmut, Bürokratienähe -, eine Juristin, die die Menschen mit "Guten Tag" begrüßte statt mit "Guten Tag, lieber Herr Dr. Schulze, ist Ihre Gattin wieder gesund?" Weil der Erwählte von den Grünen, Michael Korwisi, ein heimisches Gewächs ist, tief in Vereinsstrukturen verwurzelt, wählbar bis weit ins bürgerliche Lager, obwohl sein Anzug nicht vom Herrenausstatter stammt und sein Krawattenknoten zu dick ist. Und der Lehrer für Russisch und Englisch scheint nicht so kulturfern, dass man als Bad Homburger Millionär, der in einem Frankfurter Bankenvorstand arbeitet, als Gast der Hölderlin-Preis-Verleihung bei der Rede des Oberbürgermeisters vor Scham in den Sessel versinken müsste.

Die viel schwierigere Frage aber lautet: Warum ist es in einer reichen Stadt mit vielen wohlhabenden, verwöhnten Bürgern schwerer als anderswo, gute Lokalpolitik zu machen und als bürgerliche Partei geschlossen aufzutreten? Die erste gewagte These lautet: In armen Städten hat man weniger Zeit für Streit, weil die Probleme drängender sind, weil man sich Dauerzoff kaum leisten kann. Die zweite, grob vereinfachende These, die aber nicht unbedingt falsch sein muss: Neben hochengagierten, wohlinformierten Bürgerinnen und Bürgern leiden Teile des bürgerlichen Lagers unter einem Mangel an Kenntnis demokratischer Institutionen und Spielregeln. Die Männer haben oft eine antibürokratische Haltung verinnerlicht und verzieren ihre Sprache mit englischen Begriffen, die forciertes Handeln einfordert. Ihre Frauen sind oft nicht berufstätig, lesen die Tageszeitung nur flüchtig, dafür die "Bunte" sehr ausführlich, erklären allen Ernstes, ihr liebstes Hobby sei "Shoppen", und parken den Porsche auf dem Bürgersteig, weil der Cayenne so schlecht neben den Benz in die Doppelgarage passt. Die Männer sind in ihren Firmen gewohnt zu kommandieren, und da sie viel Steuern zahlen, greifen sie in Städten wie Bad Homburg auch gern zum Telefon und verlangen den Oberbürgermeister, aber dalli, wenn es in ihrer Straße mit der Schneeräumung nicht geklappt hat. Beim gesetzten Abendessen in einer der Villen herrscht schnell gereizte Einigkeit darüber, dass man diese ganze Stadtverwaltung auf den Mond schicken und die Leute im Magistrat nach Sibirien zwangsversetzen müsste. Kurzum: Es gedeiht hier jenes Klima aus Überheblichkeit und Unkenntnis der Hessischen Gemeindeordnung, das für Pauschalurteile gut und für sachliche Urteile schlecht ist.

Möglicherweise hat die Wahl eines Grünen in der strukturkonservativen Stadt aber auch etwas mit der Verbreitung der SUVs zu tun: Wer mit ökologisch unvernünftigen Fahrzeugen sein Kind von der Schule abholt, wählt zum Ausgleich einen Oberbürgermeister, dessen Partei ökologisch korrekt ist. So einfach ist das manchmal.

Michael Korwisi ist wählbar bis weit ins bürgerliche Lager - trotz seines zu dicken Krawattenknotens.

"Guten Tag, lieber Herr Doktor Schulze, ist Ihre Gattin
wieder gesund?"

 

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17.05.2009, Nr. 20 / Seite 7